EU-Wirtschaftsprüferreform von der Bundesregierung auf den Kopf gestellt!

Markenzeichen der deutschen Umsetzung der EU-WP-Richtlinie: Mittelstandsdiskriminierung.

Das Gutachten von Prof. Dr. Winfried Kluth vom September 2015 im Auftrag von wp.net stellt eine Vielzahl von Inländerdiskriminierungen fest. Die Regierungsparteien benachteiligen ihre Bürger gegenüber denen aus anderen Mitgliedsstaaten, da sich deren Gesetzentwurf nicht an deren Zusage im Koalitionsvertrag hält. Wir sprechen deswegen von Inländerdiskriminierungen.

Diese massiven Inländerdiskriminierungen führen zum Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit, eine der vier EU-Grundfreiheiten. Der Gesetzgeber hat sich nach unserer Auswertung des Abschlussprüferaufsichtsreformgesetzes (APAReG) gegen freiberufliche Qualitätssicherungsmaßnahmen und für überbordende Kontrollen entschieden. Auch andere Berufsverbände sprechen in diesem Zusammenhang von überbordenden Maßnahmen.

Hat der Gesetzgeber mit dieser schrankenlosen Überwachung nicht zu viel Anleihe von autokratischen Systemen genommen? Bei der Abschlussprüferaufsicht sprechen wir inzwischen vom 24- bis 30-Augenaufsichtsprinzip. 

1. Wettbewerb, statt Marktbereinigung

Diese Entwicklung hin zu maßlosen Kontrollen wird von manchen Gruppen mit der Forderung nach der Erzeugung von höchstmöglicher Qualität begründet. Diese Forderung über alle Praxisgrößen hinweg ist fern jeder Realität, von der EU nicht gewollt und letztendlich auch bloßer Unfug: Nicht nur, dass mit dieser Forderung eine EU-weite Harmonisierung vom deutschen Gesetzgeber boykottiert wird, lenkt man damit von den vier EU-Reformzielen ab, mit denen Kommissar Michel Barnier 2011 angetreten ist. Diese übertriebene Qualitätskontrolle würde bedeuten, dass – um mit einem Bild zu sprechen - man die praktizierenden Ärzte mit den administrativen Formalien eines Großkrankenhauses überzieht: Statt vier Stunden Operation, nur eine Stunde, dafür aber drei Stunden bürokratische Dokumentation der Operation. Diese Qualitätslogik lässt außer Acht, dass die für die Volksgesundheit erforderlichen Arztpraxen dann aus dem Markt verschwinden, und die Ärzte künftig alle nur noch als angestellte Ärzte in den Großkrankenhäusern ihren Dienst tun.

Auf die Wirtschaftsprüfung übertragen, bedeutet dies, dass künftig die Abschlussprüfer nur noch bei den Big4-Gesellschaften arbeiten, so wie es der PwC-Chef über die FAZ vom 30.06.2010 schon mal verkünden lies. Dieser Erkenntnis haben sich wohl auch die Autoren des Gesetzentwurfes APAReG aus dem Hause des Wirtschaftsministers angeschlossen.

Das APAReG enthält kaum qualitätssichernde Maßnahmen, sondern für uns lebt der eherne Grundsatz von Lenin weiter: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ Das APAReG vernachlässigt den Gedanken der Freiberuflichkeit und verrät vor allem die tragende Idee der europäischen Grundfreiheiten.

EuGH gegen Inländerdiskriminierung und für die Verhältnismäßigkeit.

In einem Verfahren, das sich gegen die Bundesrepublik Deutschland richtete, hat der EuGH erst kürzlich erneut festgestellt, auch wenn die Niederlassungsfreiheit nach ihrem Wortlaut nur die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sicherstellen solle, sei es ebenfalls verboten, dass der Herkunftsmitgliedsstaat die Niederlassungsfreiheit eines seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindere.

Als Beschränkungen seien alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbänden, behinderten oder weniger attraktiv machten (EuGH v. 16.4.2015, C-591/13, Kommission/Deutschland, DStR 2015, 870 Rn. 56). Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist Bestandteil des Unionsrechts. So betont der EuGH in ständiger Rechtsprechung, die Mitgliedstaaten müssten Mittel einsetzen, die es zwar erlaubten, das vom innerstaatlichen Recht verfolgte Ziel wirksam zu erreichen, diese innerstaatlichen Mittel sollten aber die Ziele und Grundsätze des Gemeinschaftsrechts möglichst wenig beeinträchtigen (siehe nur EuGH v. 21.2.2008, C-271/06, Netto Supermarkt, DStR 2008, 450 Rn. 19).

Beschränkungen dieser Grundfreiheiten sind zwar zulässig, was aber in anderen Mitgliedstaaten zum Schutz der öffentlichen Interessen als ausreichend erachtet wird, kann für den inländischen Markt nicht ungenügend sein (siehe GA Villalón in der RS C-342/14, BB 2015, 2595 Rn. 72). Der berufsrechtlich gesteuerte Ausschluss vom Markt durch unverhältnismäßige Regelungen ist alles andere als eine Beschränkung der Grundfreiheiten, er ist bereits eine Freiheitsberaubung ohne jeden sachlichen Grund. Die Angleichung der Qualitätskontrolle an die Sonderuntersuchung bei den PIE-Prüfern ist ein solcher Verstoß gegen die Verhältnismäßigkeit.

Wie die nachfolgenden Beispiele zeigen, führen die beabsichtigten gesetzlichen Maßnahmen zu jener verbotenen Inländerdiskriminierung und zu einer unzulässigen Beeinträchtigung der übergeordneten Ziele und Grundsätze des Gemeinschaftsrechts:

2. Forderung: Berufsstandsunabhängige Abschlussprüferaufsicht, sonst nicht EU-konform.
  1. Statt der Öffentlichkeit mitzuteilen, woran man die gute Prüferqualität erkennen kann, setzt der Gesetzgeber auf massive Kontrollen. Dazu wird eine Prüferaufsicht eingerichtet, die nur aus ehemaligen Big4-Wirtschaftsprüfern besteht. Diese prüft und überwacht dann auch die Big4-Gesellschaften. Damit wird eine hohe Unabhängigkeit der Aufsichtsmitglieder nicht als Qualitätsmerkmal anerkannt.
  2. Statt für eine transparente und unabhängige Besetzung der Abschlussprüferaufsichtsstelle in der BAFA (APAS) zu sorgen, werden die ehemaligen Big4-Wirtschaftsprüfer ohne Prüfung von deren Unabhängigkeit und Unbefangenheit per Gesetz in die APAS übernommen.
  3. Statt eine transparente und unabhängige Ausschreibung für das Leitungspersonal durchzuführen, wird mittels organisatorischer Tricks (Herunterstufen des Leitungspersonals) versucht, das aus dem ehemaligen Big4-Personal bestehende Leitungspersonal der APAK in die Leitung der APAS zu überführen.
  4. Statt die Qualitätskontrolle von Personen überwachen zu lassen, die von den Prüfungsgesellschaften unabhängig sind, entsenden die großen WP-Gesellschaften ihre Wirtschaftsprüfer in die APAS und in die Kommission für QK und dürfen sogar bei der Qualitätskontrolle mitwirken.
  5. Statt eine demokratische Aufsichtsbehörde einzurichten, wird unter dem Vorwand der Berufsstandsunabhängigkeit die APAS in der BAFA fachaufsichtsfrei gestellt und der demokratischen Kontrolle entzogen.
  6. Statt die Einhaltung des internen Qualitätssicherungssystems der WP-Praxis zu überprüfen, möchten die APAReG-Kontrollsüchtigen eine zweite gesetzliche Abschlussprüfung bei mittelständischen Unternehmen durchführen lassen.

 

3. Forderung: Qualitätssicherung, statt Qualitätskontrollen!
  1. Statt sich klar und deutlich für das von der EU-RL vorgeschlagene Prüfer-Regelungswerk ISA (Internationale Prüfungsstandard) auszusprechen und damit die Abschlüsse EU-weit vergleichbar zu machen (dies ist Harmonisierung) entscheidet sich der RegE für die Erweiterung der ISA für Nicht-PIE-Prüfer um Regelungen aus dem Regelungswerk für die Prüfer von öffentlichen Unternehmen. Das wollten weder das EU-Parlament, noch der Rat der Europäischen Union. Dies geht über die Richtlinie hinaus.
  2. Statt sich für die von der EU-Richtlinie in Art. 29 vorgeschlagene Qualitätskontrolle auszusprechen (Überprüfung des Qualitätssicherungssystems des gesetzlichen Abschlussprüfers), wird im APAReG - analog der Sonderuntersuchung für die Prüfer von Unternehmen des öffentlichen Interesses (PIE) - eine zweite Jahresabschlussprüfung gefordert.
  3. Statt eine Qualitätssicherung durch auskömmliche Honorare einzuführen und die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer zu stärken, will APAReG die Abschlussprüfer nach dem 24-Augen-Überwachungsprinzip (Kontroll-Tsunami) zu einer imaginären Qualität motivieren.
  4. Statt die Interessenskollisionen des PIE-Prüfers durch ein gleichzeitiges Beratungsverbot zu beseitigen, wird das quersubventionierende Beratungsgeschäft festgeschrieben und ein 24-Augen-Kontrollapparat eingeführt.
  5. Statt die Qualität der Abschlussprüfung bei größeren Unternehmen durch gemeinsame Prüfungen (Joint Audit) zu stärken, werden nachlaufende Kontrollen eingeführt, die keine Mängel verhindern, sondern nur diese Berufspflichtverletzungen zu erklären helfen.
  6. Statt die Beseitigung wesentlicher Prüfungsmängel durch Transparenz künftig zu verhindern, bleibt die Transparenz über die Mängelverursacher geheim, stattdessen intensiviert man die Kontrollen weiter.
  7. Statt die Unabhängigkeit der Prüferaufsicht zu stärken, sieht das APAReG vor, dass sich die Big4-Gesellschaften von Ihren ehemaligen Mitarbeitern überwachen und beaufsichtigen lassen können.
  8. Statt die Unabhängigkeit des Prüfers für Qualitätskontrolle (QK) zu stärken, unterwirft der Gesetzentwurf die Prüfer f. QK der Kontrolle der KfQK und gibt der KfQK das Recht, an der QK teilzunehmen. Die KfQK hat nach der EU-RL die Aufgabe, die Letztaufsicht über die QK und ihre Prüfer wahrzunehmen, keinesfalls an der QK teilzunehmen. Wie kann jemand die Aufsicht innehaben, wenn er selbst prüft? Dies ist ein Verstoß gegen das Selbstprüfungsverbot und schwächt die Aufsicht.
  9. Statt für eine wirksame Transparenz über Sanktionen auch bei Gesellschaften zu sorgen, bleiben die Sanktionierungen mehr oder weniger geheim.
  10. Statt die von der EU-geforderte Sanktionierung über alle WP-Gesellschaften einzuführen, schafft man eine Regelung, mit der sich die großen Gesellschaften aus der Sanktionierung „stehlen“ können.
  11. Statt mit einem Maßnahmenbericht die erkannten Mängel der WP-Praxis abzustellen, muss der Prüfer für QK einen Controllingbericht über die gesamte QK bei der Kommission f. QK und der APAS einreichen. Statt die Qualität der WP-Praxis zu überwachen und für Qualität zu sorgen, wird der PfQK überwacht und seiner Unabhängigkeit beraubt. Damit macht die KfQK bei der QK mit, statt die QK zu überwachen. Mit der Mitwirkung an der QK fällt die KfQK für die Überwachungsmaßnahmen aus.

 

4. Keine Zerstörung des freien Berufs „Abschlussprüfer“
  1. Statt dem Wirtschaftsprüfer nach der langen Ausbildung und dem Bestehen des schweren Examens die Berechtigung zur Durchführung der gesetzlichen Abschlussprüfungen zu geben, muss sich der Wirtschaftsprüfer seit 2006 nach bestandenem Examen einer regelmäßigen Qualitätskontrolle unterwerfen. Ohne diese durchgeführte Kontrolle darf der Wirtschaftsprüfer in Deutschland keine gesetzlichen Abschlussprüfungen mehr durchführen. Diese Inländerdiskriminierung kennen andere EU-Staaten (Ausnahme Österreich) nicht. Die WP-Ausbildung, das WP-Examen reicht gerade noch für die Visitenkarte.
  2. Statt sich mit einer Anzeigepflicht für die Abschlussprüfer zufrieden zu geben, fordert das Kontrollgesetz APAReG eine sanktionierende und bürokratiereiche Registrierung als gesetzlicher Abschlussprüfer.

Statt den Prüfer für Qualitätskontrolle beim Anforderungsprofil mit dem Inspekteur der APAS gleichzustellen (dieser überwacht die Prüfer von öffentlichen Unternehmen, z.B. Big4 und darf kein Abschlussprüfer sein), verlangt man vom Prüfer für QK, dass er registrierter Abschlussprüfer ist. Die anderen EU-Staaten kennen dieses inländerdiskriminierende WP-EXIT-Programm nicht.

5. Forderung nach Abkehr von der Kontrollsucht der Bundesregierung!

Nach unseren Feststellungen zielen die vorgestellten Reformen nicht auf eine Qualitätssteigerung ab, sondern offenbaren eine falsch verstandene Kontrollsucht, die mit einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung und dem freien Berufs nicht vereinbar ist.

Qualitätskontrolle ist keine originär staatliche Aufgabe, sondern der Wirtschaft. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit würde es genügen, und so will es auch Art. 29 EU-RL, wenn sich der staatliche Eingriff auf Maßnahmen zur Sicherung der Praxisqualität beschränkt. Die von der EU vorgesehene Trennung der Überwachung des gesetzlichen Abschlussprüfers der PIE- und der Nicht-PIE-Prüfer wird damit nicht eingehalten. Die Frage sei erlaubt, warum die EU extra die Verordnung geschaffen hat. Die VO gilt nur für die PIE-Prüfer.

Die beste Qualitätskontrolle wird über den Wettbewerb gewährleistet, nur hilfsweise kommen aufsichtsrechtliche Schritte in Betracht. Dieser Wettbewerb wird durch das WP-EXIT-Maßnahmenprogramm ausgeschaltet. Für die kleine und mittlere Wirtschaft genügt eine Aufsicht über die Berufskammer, flankiert aber durch qualitätssichernde Maßnahmen, wie die Honorarordnung.

Die Kontrolle der Big4-Gesellschaften über ihre ehemaligen Wirtschaftsprüfer in der APAS verstößt gegen den Grundsatz: „Niemand darf Richter in eigener Sache sein!“. Zur Sicherung der Qualitätskontrolle bedarf es des beamteten Über-Wirtschaftsprüfers aus der Qualitätskontrollkommission nicht. Deswegen sieht die Richtlinie dies auch nicht vor. Bei der rechtssprechenden Gewalt gibt es aus gutem Grund den ehrenamtlichen Richter, damit auch der „gesunde Menschenverstand“ zur Geltung kommt. Die APAS braucht Personen, die „in jeder Hinsicht“ unabhängig sind, befangene Richter fällen Fehlurteile, sie sichern nicht Qualität, sondern verhindern sie.

Folgen der deutschen WP-Regulierung

Die durch das APAReG sichtbar werdenden Maßnahmen zielen eher auf Marktbereinigung, als auf Qualitätsverbesserung ab. Das APAReG entspricht nicht der im Koalitionsvertrag versprochenen 1:1-Umsetzung der Richtlinie.

Dies belegen die vielen, vorstehend aufgeführten inländerdiskriminierenden Maßnahmen des APAReG.

Wer Bürokratieabbau wirklich möchte, muss bei der Qualitätskontrolle anfangen und die Feststellungen von Prof. Dr. Hansrudi Lenz beherzigen:

„Das Qualitätskontrollverfahren hätte man europarechtskonform (nach Art. 29 Abs. 1 f RL) explizit auch als Review (kritische Durchsicht) anlegen können“.

Inländerdiskriminierende Regelungen im Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz (APAReG) und die dem APAReG innewohnende „Kontrollsucht“ zerstören den freien Beruf des Wirtschaftsprüfers.

München, 15.10.2016

WP/StB Michael Gschrei,
Sprecher des Geschäftsführenden Vorstands
von wp.net e.V.